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22-04-20 08:37 Alter: 4 yrs

VON:GH

Das Gute am Corona-Virus …

… Bohème Sauvage fällt aus. Eine Reise- und Veranstaltungswarnung.



Seit etlichen Jahren veranstaltet ein „Fräulein Else Edelstahl“ unter dem Schlagwort „Bohème Sauvage“ Partys im Stil der 1920er Jahre. Wobei es nach eigener Darstellung „nicht irgendeine Party“ ist, sondern „ein rauschendes Fest zu Ehren der Helden vergangener Nächte, an welche die Helden der heutigen erinnern.“ Eine „Hommage an das Nachtleben der Zwanziger Jahre“ soll es sein.

Fräulein Edelstahl verspricht mondäne Unterhaltung sowie moderne Nostalgie, „in der die Luft voll Goldstaub ist“ und man bis in die frühen Morgenstunden tanzt, im Kasino die letzte Reichsmark verspielt und leichte Mädchen kennenlernt.

Der Gebrauch von tragbaren Telefonen ist unerwünscht. Man möge sie bitte nur im Notfall nutzen.

Um all das zu gewährleisten, hat Fräulein Else Edelstahl eine Kleiderordnung erlassen, in der der Chic der 1920er Jahre gefordert wird. Die Damen mögen als „kecke Dirne oder elegante Diva“ erscheinen, für die Herren ist ein Auftritt als „galanter Gigolo oder dezenter Gentleman“ angemessen. Ausdrücklich unerwünscht ist jegliche Form moderner Kleidung wie Jeans, Turnschuhe, T-Shirts und auch jegliche Art kitschiger Karnevalskostüme.

Und natürlich behält man sich das Recht vor, unpassend gekleidete Personen nicht einzulassen.

Wer auch nur einen Hauch Ahnung von dieser Zeit hat, weiß, dass es ein Jahrzehnt der Zigarrenraucher war. Alleine im Berlin der 1920er Jahre (etwa so groß wie heute) gab es 6.500 Zigarrenhändler. Jeder ordentliche Mann rauchte Zigarre, die aufmüpfige Dame ebenfalls. Und der Dandy griff schon damals zur Zigarette.

Da verwundert es nicht, dass Fräulein Edelstahl für alle „Bohème Sauvage“-Veranstaltungen „Buena Vista • Cigarros Excitantes“ empfiehlt und sogar ein Bauchladenfräulein diese Zigarren verkauft. Buena Vista – schöne Aussicht. Aus dem Hause Arnold André. Eine mehrfach ausgezeichnete Zigarre. Wer so einen Partner hat, kann nur etwas Gutes bieten.

Kurzum: Hier findet der Bohémien zumindest für eine Nacht das ihm gemäße Zuhause.

Umso größer die Enttäuschung.

• Schon beim Eintritt bekommt man einen Disko-Stempel auf die Hand gedrückt – angeblich, damit man „wieder hereinkommt“.

• Der „Festsaal“ ist eine heruntergekommene Industriehalle, der man nur das allernötigste Mobiliar gegönnt hat (z. B. ein Kasinotisch).

• Die Garderobe ist auf moderne Kleidungsstücke eingerichtet. Ein Zylinder führt zu Problemen. Er wird letztlich mit etlichen anderen Kopfbedeckungen in einen kistenähnlichen Verschlag gestopft.

• Die vorgesehene Kleiderordnung ist nicht wirklich ernst gemeint. Ein paar Hosenträger und eine Schiebermütze reichen offenbar aus.

• Auf der Tanzfläche wippt eine vereinsamt wirkende junge Damen in den Knien und bedient etwa eine Viertelstunde lang ihr Mobiltelefon – was niemanden beeindruckt oder stört.

• Buena Vista wird als Lockmittel verwendet. Kaufen ja, rauchen nein. Allenfalls draußen vor der Tür.

Kurzum: Hier findet der Bohémien gar nichts. (Aber der ist bei genauererer Betrachtung des Publikums offensichtlich nicht die Zielgruppe.)

In solch einem Umfeld sollte eine Zigarre wie die Buena Vista nicht auftauchen.

 

Anm. der Redaktion: Natürlich haben wir Fräulein Edelstahl angeschrieben. Im Februar 2020. Fräulein Edelstahl hat nicht geantwortet …