Unerledigte Geschäfte

Unter dem Titel «Unerledigte Geschäfte» stellt Urs Thaler, zur Zeit der Recherche Inlandredaktor bei den «Luzerner Neuesten Nachrichten» seine Recherchen über die Geschichte der schweizerischen Cigarrenfabriken im Dritten Reich der Öffentlichkeit vor.

Ausgangspunkt war für ihn der am 23.3.1989 im DRS Radio gesandte Beitrag über «Die Villiger-Firmengeschichte». Fast 10 Jahre hat er anschließend recherchiert, weil für eine Beurteilung Fakten zwar sowohl für die eine, als auch für die andere Seite vorlagen, auf beiden Seiten jedoch eine Menge Fragen offen blieben.

So z.B. ein genaues Verständnis des Begriffes «Arisierung». Wie war das Verhältnis zwischen staatlichem Zwang und unternehmerischer Entscheidungsfreiheit zur damaligen Zeit?

Vier von zwölf Schweizer Cigarrenfabriken haben zwischen 1933 und 1938 «jüdische» Unternehmen gekauft. In diesem ersten Buch des auf zwei Bände angelegten Werkes beschäftigt sich Urs Thaler mit der Übernahme der Mannheimer Zigarrenfabrik Feibelmann durch die Reinacher Firma Hediger sowie der Übernahme der Emmendinger Firma Günzburger durch die Zigarrenfabrik Burger. Das Geschäft Feibelmann / Hediger erstreckte sich über mehrere Jahre und entsprach - was den Unrechtsgehalt angeht - nicht dem, was man landläufig unter dem Begriff «Arisierung» versteht. Demgegenüber zeigt sich der Unrechtsgehalt beim Geschäft Günzburger / Burger schon sehr deutlich. Doch hier weist der Fall eine Besonderheit auf, die nur ein schweizerischer Käufer einem jüdischen Unternehmer in Deutschland bieten konnte.

Thaler forschte in Gerichts- und Amtsakten, reiste bis nach Hamburg und befragte noch lebende Mitarbeiter der beteiligten Firmen. Demzufolge zitiert er aus amtlichen Dokumenten und privaten Briefen, und lässt auf diese Weise Rückschlüsse auf die jeweilige Motivationslage der Beteiligten zu.

Bei aller Lückenhaftigkeit, die eine solche Recherche nach 50 Jahren haben muss, ist es erstaunlich, welche Details Thaler herausgefunden hat und fast schon minutiös schildert. Dass er stellenweise langatmig und zäh vom Thema abschweift, ärgert den Leser, dem auf allen Seiten der Fallschilderung ein Wirtschaftskrimi geboten wird, der nicht nur Einblicke in das Thema «Arisierung», sondern auch in die Handlungs- und Denkweise der Cigarrenunternehmer gibt.

Spannend, weil der Leser weiss, daß hier stillschweigend oder zumindest ohne großes Gewese Unternehmer und ihre Familien enteignet und aus dem Lande gejagt wurden, während das Vermögen an Staat und Käufer ging.

Ob die Käufer dabei nach moralischen und rechtlichen Maßstäben verwerflich gehandelt haben, lässt er offen; Thaler bietet aber alle Fakten, diese Beurteilung selber vorzunehmen.

Neben 143 Seiten Vorbemerkung und Fallschilderung, 314 Anmerkungen auf 23 Seiten, die lobenswerterweise fortlaufend und nicht kapitelweise numeriert sind, finden sich weitere sechs Seiten mit Quellen- und Literaturverzeichnis.

Beachtlich insbesondere die sich daran anschließende Tabelle, in der 109 Arisierungen jüdischer Cigarrenfabriken aufgeführt sind. Schwerpunkte liegen in Westfalen (Bünde) sowie Baden, die beiden Zentren der Cigarrenindustrie vor dem 2. Weltkrieg. 36 Seiten mit s/w Abbildungen von Mitgliedern der Familie Günzburger, der Cigarrenfabriken Burger und Günzburger sowie Bilder aus der nationalsozialistischen Zeit in den Cigarrenzentren komplettieren das Werk, das jedem historisch interessierten Tabakfreund als Faktensammlung empfohlen sei.

 

Thaler, Urs • Unerledigte Geschäfte

Zur Geschichte der schweizerischen Zigarrenfabriken im Dritten Reich

Orell Füssli Verlag, Zürich

ISBN 3-280-02805-1

Hardcover, 23 cm